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Titel: Alpha-1-Antitrypsinmangel: Klinisches Erscheinungsbild, Risikofaktoren und Langzeitverlauf – Analyse des deutschen Registers
VerfasserIn: Bernhard, Nikolas
Sprache: Deutsch
Erscheinungsjahr: 2018
Erscheinungsort: Homburg/Saar
DDC-Sachgruppe: 610 Medizin, Gesundheit
Dokumenttyp: Dissertation
Abstract: Der Alpha-1-Antitrypsinmangel (AATM) ist eine autosomal-kodominant vererbte Erkrankung, die mit einem erhöhten Risiko für eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) und eine Leberzirrhose auch schon im jüngeren Lebensalter assoziiert ist (1, 2). Erstmalig beschrieben wurde die Krankheit durch Laurell und Eriksson im Jahre 1963 (1). Ein Mangel an dem in der Leber gebildeten Protein Alpha-1-Antitrypsin (AAT) führt zu einer verminderten Neutralisierung proteolytischer Enzyme, insbesondere der neutrophilen Elastase. Die Folge ist eine chronische Inflammation und Destruktion des Lungengewebes. Zudem bewirkt die Ablagerung fehlgebildeter Proteinstrukturen in den Hepatozyten eine entzündliche Reaktion mit der Folge einer Leberschädigung bis hin zur Leberzirrhose (3). Exogene Noxen, wie Nikotinkonsum oder eine überdurchschnittliche berufliche Staubbelastung, sind bei Patienten mit AATM bedeutende Risikofaktoren für die Entwicklung einer COPD und vor allem eines Lungenemphysems schon im jungen Alter (4-6). Doch auch bei völliger Abstinenz inhalativen Rauchens oder übermäßiger Staubbelastung leiden einige Patienten mit AATM unter den Symptomen der Lungenkrankheit, wie zum Beispiel chronischem Husten und zunehmender Dyspnoe (7). Es sind unterschiedliche Mutationen des SERPINA1 Gens bekannt, die zu verschiedenen Schweregraden eines AATM führen. Die häufigsten Genotypen, die mit deutlich verminderten Spiegeln an AAT im Blutserum assoziiert sind, sind der Genotyp Proteaseinhibitor ZZ (PiZZ) und der Genotyp Proteaseinhibitor SZ (PiSZ) (7). Mit einer geschätzten Prävalenz in Deutschland von etwa 1:10.300 Einwohnern bei PiZZ und 1:2400 Einwohnern bei PiSZ zählt der AATM zu den seltenen genetischen Erkrankungen (8). Es wird angenommen, dass etwa 1 - 4,5 % aller COPD-Fälle durch einen PiZZ AATM verursacht werden (7). Die Entwicklung einer manifesten Leberzirrhose ist abhängig vom Lebensalter. Während im Alter unter 50 Jahren eine Leberzirrhose selten ist, konnte eine Studie an einer kleineren Patientenkohorte eine Häufigkeit von etwa 20 % bei PiZZ AATM-Patienten im Alter über 50 Jahren nachweisen (9). Oft manifestiert sich die Leberbeteiligung aber auch schon in der frühen Kindheit in Form eines prolongierten Neugeborenenikterus oder abnormen Leberenzymen (7). Trotz Zunahme des Bewusstseins für die Erkrankung im klinischen Alltag sowie einfachen, kostengünstigen und schnellen Diagnosemöglichkeiten, ist der AATM immer noch stark unterdiagnostiziert (10). Bei allen Patienten, die trotz Abwesenheit bekannter Risikofaktoren an einer COPD oder einem Lungenemphysem leiden, sollte ein Screening auf AATM durchgeführt werden. An erster Stelle steht die laborchemische Bestimmung der AAT-Serumkonzentration. Bei einem Spiegel unterhalb des Referenzbereiches ist eine Genotypisierung des Defektes mittels Polymerase-Kettenreaktion indiziert. Der bereits eingetretene Lungenparenchymschaden bei AATM ist irreversibel. Deshalb ist das primäre Ziel die Verlangsamung der Krankheitsprogression. Im Mittelpunkt der Behandlung steht die Entwöhnung des inhalativen Nikotinkonsums, die Vermeidung übermäßiger beruflicher Staubbelastung sowie die Prävention von Krankheitsexazerbationen (7). Neuere Studien sehen außerdem in der parenteralen Substitutionstherapie mit humanem AAT (60 mg/kg Körpergewicht wöchentlich) eine Möglichkeit den Krankheitsverlauf um ein geringes Maß zu verzögern (11). Diese Behandlungsform ist jedoch nur einem ausgewählten Patientenkollektiv mit mittelgradig eingeschränkter Lungenfunktion vorbehalten. Im Endstadium der Lungenerkrankung muss eine Lungentransplantation in Erwägung gezogen werden (7). Eine Lebertransplantation ist die einzig bekannte Therapie bei schwerer Leberbeteiligung bei AATM (7). Im Gegensatz zur Lungentransplantation kann eine Lebertransplantation zu einer Normalisierung des AAT-Serumspiegels führen. Ob dadurch ein Fortschreiten der Lungenerkrankung gestoppt oder verlangsamt werden kann, ist jedoch fraglich (12). Die Prognose betroffener Patienten wird maßgeblich vom Genotyp der Erkrankung sowie durch die Einhaltung einer konsequenten Nikotinkarenz bestimmt (13). Aufgrund fehlender Langzeitdaten zum Krankheitsverlauf des AATM ist eine Prognoseeinschätzung jedoch schwierig. Es ist aber allgemein akzeptiert, dass symptomatische sowie rauchende AATM-Patienten eine deutlich eingeschränkte Lebenserwartung aufweisen (14-16). Studien an großen Patientenpopulationen sind aufgrund der erschwerten Rekrutierung von Patienten eher die Ausnahme. Deshalb spielen Registerdaten beim AATM eine entscheidende Rolle, um das Krankheitsbild, die Diagnostik sowie die therapeutischen Optionen näher zu beleuchten. Das Deutsche Register für Erwachsene mit Alpha-1-Antitrypsinmangel (AATDR) wurde 2003 gegründet und befindet sich in der Klinik für Innere Medizin V - Pneumologie, Allergologie, Beatmungs- und Umweltmedizin am Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg/Saar unter der Leitung von Herrn Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Robert Bals. Es basiert auf der Erfassung personenbezogener Krankheitsdaten (u.a. Symptomausprägung, Häufigkeit von Exazerbationen, Lungenfunktionsparametern, Lebensqualität) mit Hilfe von speziell dafür entworfenen Fragebögen. Das Register erlaubt die Erforschung und Auswertung retrospektiver Daten von mehr als 1000 Patienten mit dieser Erkrankung. In den vergangenen drei Jahren konnten 92 weitere Patienten mit AATM für das Register rekrutiert werden, sodass die Zahl der teilnehmenden Individuen von 984 auf insgesamt 1076 gestiegen ist. Um die Wertigkeit der späteren Auswertung zu erhöhen, wurde jeder einzelne vorbestehende Datensatz in diesem Zeitraum auf Korrektheit und Vollständigkeit geprüft. Das Verschicken von Follow-up- Fragebögen an alle teilnehmenden Patienten erfolgte in den Jahren 2006, 2011 und 2015. Mithilfe der gesammelten Daten ließ sich der Verlauf der Erkrankung über einen Zeitraum von bis zu 11 Jahren erfassen. Bei COPD-Patienten ohne AATM ist bekannt, dass das Geschlecht Einfluss auf die Krankheitspräsentation und Symptomausprägung hat (17, 18). Bei AATM-Patienten existieren jedoch nur begrenzte Daten über geschlechterspezifische Unterschiede hinsichtlich der wichtigsten Symptome, Verlauf und Prognose. Der erste Teil dieser Arbeit bezieht sich deshalb auf die Auswertung von Querschnittsdaten und dem direkten Vergleich von mehreren Krankheitsmerkmalen zwischen Männern und Frauen mit AATM. Die Erfassung gesundheitsbezogener Lebensqualität mit Hilfe spezieller Fragebögen ist eine weit verbreitete und anerkannte Methode zur Abschätzung der Krankheitsschwere bei Patienten mit COPD (19, 20). Im AATDR kommt der 4-seitige St. George’s Respiratory Questionnaire (SGRQ) zum Einsatz, der insbesondere für Patienten mit chronischer Lungenobstruktion entwickelt wurde. Es liegen zahlreiche Studien vor, die Korrelationen zwischen schlechteren SGRQ Resultaten und erhöhter Exazerbationsrate, Nikotinkonsum, Symptomausprägung und Lungenfunktionsparametern bei Patienten mit COPD oder Patienten mit AATM nachweisen (21-24). Die meisten dieser Studien beruhen auf der Auswertung von Querschnittsdaten, nur wenige auf der Auswertung von Längsschnittdaten. In dieser Arbeit wird deshalb die Veränderung der Lebensqualität über einen mehrjährigen Zeitraum im Zusammenhang mit verschiedenen Parametern untersucht. Im Vergleich zu den meisten anderen nationalen Registern für AATM weist das AATDR eine hohe Zahl an Patienten mit verfügbaren Follow-up-Daten auf (25, 26). In Anbetracht des begrenzten Wissenstandes über den längerfristigen Verlauf des AATM ist deshalb die Auswertung der Langzeitdaten des AATDR ein wichtiger Teil dieser Arbeit. Für Betroffene mag es von hoher Relevanz sein eine Abschätzung darüber zu erlangen, wie sich ihre Erkrankung in den nächsten Jahren entwickeln wird, wie schnell sie voranschreitet und inwiefern die Krankheitsprogression verlangsamt werden kann. Der AATM ist durch einen erhöhten jährlichen Verlust verschiedener Lungenfunktionsparameter gekennzeichnet (27). Der jährliche Verlust der Einsekundenkapazität (FEV1) sowie der Kohlenmonoxid-Diffusionskapazität der Lunge (TLCO) sind Prädiktoren für die allgemeine Sterblichkeit. Je höher der jährliche Verlust, desto höher die Mortalität (28, 29). Um ein rasches Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern, ist deshalb die Identifikation von Faktoren entscheidend, die zu einem erhöhten Verlust an FEV1 oder TLCO beitragen. Frühere Studien haben bereits einige Einflussgrößen beschrieben, die mit einem erhöhten Abfall der FEV1 bei Patienten mit AATM assoziiert sind. Dazu zählen ein verminderter Body mass index (BMI), eine verminderte Reversibilität der Bronchialobstruktion nach Bronchodilatation, eine erhöhte Exazerbationsrate sowie eine schlechtere Lebensqualität (27, 30). Ziel dieser Arbeit war es, weitere Faktoren zu identifizieren, die Einfluss auf den longitudinalen Verlauf der FEV1 und der TLCO haben können. Die überwiegende Mehrheit der Patienten im AATDR leidet unter AATM mit dem Genotyp PiZZ. Trotzdem sind im Register auch mehr als 100 Patienten mit dem Genotyp PiSZ erfasst, der im Vergleich zu PiZZ mit einem quantitativ weniger ausgeprägten Mangel an AAT, einem geringeren Risiko für eine Emphysementwicklung und einer besseren Prognose verbunden ist (13, 31, 32). Inhalativer Nikotinkonsum ist einer der wichtigsten Risikofaktoren für die Entwicklung einer schwereren Krankheitsausprägung bei Patienten mit AATM (4). Da die AATM Genotypen PiZZ und PiSZ mit unterschiedlichen Schweregraden der Erkrankung assoziiert sind, stellt sich die Frage, ob Nikotinkonsum den Krankheitsverlauf unterschiedlich stark beeinflusst. Bisher haben nur wenige Studien die Anfälligkeit der beiden Genotypen für inhalatives Rauchen im Vergleich zueinander untersucht, sodass dies ein weiteres Anliegen dieser Arbeit war. Die Ergebnisse dieser Arbeit sind insgesamt in vier wissenschaftlichen Veröffentlichungen publiziert. In der ersten Veröffentlichung wird gezeigt, dass das Geschlecht bei den AATM-Patienten im Register nicht mit einem bestimmten Krankheitsphänotyp, der Exazerbationshäufigkeit oder der Lebensqualität assoziiert ist. Dies steht im Gegensatz zu Untersuchungen an Patienten mit COPD ohne AATM. Dort ist die Prävalenz für die Bronchitis beim weiblichen Geschlecht höher, wohingegen ein Lungenemphysem häufiger bei Männern beobachtet wird (33). Zudem weisen Frauen mit COPD ohne AATM im Vergleich zu Männern eine schlechtere Lebensqualität auf (17). Frühere Studien an AATM-Patienten konnten bisher keinen signifikanten Zusammenhang zwischen der jährlichen Exazerbationsrate und dem jährlichen Verlust an Lebensqualität zeigen (24, 34). In unserer zweiten Veröffentlichung wird jedoch eine signifikante Korrelation zwischen der Anzahl der jährlichen Exazerbationen in der Follow-up Phase und dem jährlichen Verlust an Lebensqualität bei Patienten mit PiZZ AATM nachgewiesen. Je häufiger die Exazerbationen pro Jahr, desto stärker der Abfall des SGRQ- Scores. Es zeigt sich, dass der Verlauf der krankheitsbezogenen Lebensqualität stärker von der Exazerbationsfrequenz als von der Veränderung der FEV1 oder der TLCO beeinflusst wird. Ein weiteres wichtiges Ergebnis dieser Arbeit ist der Nachweis von Faktoren, die Einfluss auf den Verlust der FEV1 und damit auf die Krankheitsprognose bei Patienten mit AATM haben. In der dritten Veröffentlichung wird in univariater und multivariater Analyse ein signifikanter Zusammenhang zwischen jährlicher Exazerbationsrate und jährlichem FEV1-Verlust gezeigt. Damit bestätigt diese Arbeit die Ergebnisse früherer Studien (27, 30). Als eine der ersten Studien überhaupt kann diese Arbeit einen Zusammenhang zwischen der Dauer der Nikotinabstinenz und dem jährlichen FEV1-Verlust nachweisen. Je länger AATM-Patienten nicht mehr geraucht haben, desto geringer ist die Reduktion der FEV1 pro Jahr. Die Ergebnisse dieser Veröffentlichung unterstreichen somit die Relevanz einer strikten Nikotinkarenz bei Patienten mit AATM. Auch die vierte Publikation befasst sich mit dem Thema Nikotinkonsum, nun aber hinsichtlich der Anfälligkeit der beiden Genotypen PiZZ und PiSZ im direkten Vergleich zueinander. Bei AATM-Patienten mit moderatem Nikotinkonsum in der Vergangenheit zeigen PiZZ Patienten im Vergleich zu PiSZ Patienten eine signifikant erhöhte Exazerbationsrate und schlechtere Lebensqualität. Dieser Unterschied relativiert sich jedoch in der Gruppe der Patienten mit starkem (Ex-) Nikotinkonsum, sodass keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Genotypen mehr aufzuweisen sind. PiSZ Patienten scheinen also nur dann von einem - im Vergleich zu PiZZ Patienten - milderen Krankheitsverlauf zu profitieren, wenn ein starker Nikotinkonsum vermieden wird. Die Ergebnisse dieser Arbeit leisten einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des Krankheitsbildes des AATM, insbesondere zur Abschätzung des Langzeitverlaufes sowie zur Identifikation von Risikofaktoren für eine schlechtere Krankheitsprognose. Trotzdem müssen einige Limitationen und Schwächen genannt werden: Alle erhobenen Daten beruhen auf der Selbsteinschätzung der teilnehmenden Patienten sowie auf den Angaben der behandelnden Ärzte. Zudem ist davon auszugehen, dass als Folge der Strategie der Patientenrekrutierung AATM-Patienten mit schwerer Symptomausprägung im Vergleich zur Gesamtpopulation im Register überrepräsentiert sind. Eine Übertragbarkeit der Ergebnisse auf alle Patienten mit AATM ist deshalb wohl nur eingeschränkt möglich. Kontrollierte klinische Studien sind erforderlich, um die Ergebnisse dieser Arbeit zu bestätigen.
Link zu diesem Datensatz: urn:nbn:de:bsz:291--ds-303007
hdl:20.500.11880/28714
http://dx.doi.org/10.22028/D291-30300
Erstgutachter: Bals, Robert
Tag der mündlichen Prüfung: 4-Jun-2019
Datum des Eintrags: 17-Feb-2020
Fakultät: M - Medizinische Fakultät
Fachrichtung: M - Innere Medizin
Professur: M - Prof. Dr. Robert Bals
Sammlung:SciDok - Der Wissenschaftsserver der Universität des Saarlandes

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