Thomas Gergen
Juristische Praxis der Pax und Treuga Dei
seit dem Konzil von Charroux (989-1250)
Résumé
von: Pratique juridique de la paix et trêve de Dieu à
partir du concile de Charroux (989-1250), Frankfurt/M. 2004 (Peter
Lang Verlag), ISBN 3-631-52265-7, Rechtshistorische Reihe Band 285.
Viele Autoren haben bereits die
unterschiedlichen Inhalte und Ziele der Pax und Treuga Dei
herausgestellt. Einige meinen, dass sie sich gänzlich in den
Jahrtausendumbruch und die damit verbundene so genannte «feudale
Revolution» um das Jahr 1000 in all ihren Facetten
eingliedern lasse: zunächst, der Chiliasmus (Millenarismus), ein
Zeitalter reich an Ängsten und Weltuntergangsstimmung, verbunden
mit den großen Volksbewegungen, welche von der Heilskraft der
Reliquien angezogen wurden. Sodann wird die Theorie von der
Gesellschaft in der Krise ins Feld geführt, die ohne Staat und
gesetzgebende Organe lebt und in der es ständig zu Angriffen der
milites auf die Güter der pauperes und der
Kirchengüter kommt. Mit der griffigen Formel von «Umordnung
statt Unordnung» der Gesellschaft fasste Hans-Werner
Goetz diesen geschichtlichen Vorgang jedoch unter weniger
revolutionärem Blickwinkel zutreffend zusammen. Zudem wurde
herausgearbeitet, dass es nicht darum ging, die Gewalt gänzlich
abzuschaffen, sondern sie so weit wie möglich zu kanalisieren ;
die Fehde sollte legitimiert bzw. deligitimiert werden (Elmar Wadle).
Überdies haben wir es bei einigen Friedensbestimmungen mit den
Vorboten der gregorianischen Reform zu tun, welche gegen Nikolaismus
und Simonie gerichtet war und die innere Ordnung der Kirche ab der
zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts zu reformieren suchte.
Rechtlich wie institutionell enthalten
die Vorschriften der Pax Wiederholungen der vorangehenden
Gesetzgebung, d.h. der merowingischen und karolingischen Kapitularien
und der Bußbücher. Auf diese Kontinuität bzw. die
bloße Intensivierung der schon damals bekannten und angewandten
Methoden wies Dominique Barthélemy eindringlich in seinem Buch
L´an mil et la Paix de Dieu. La France chrétienne et
féodale (980-1060) hin und relativierte damit zurecht die
von vielen Historikern betonte Neuartigkeit der Gottesfrieden. Aus
dieser Forschungslage ergibt sich der Ausgangspunkt unserer
Untersuchung, die mit der «Harmonisierung» des Rechts
beginnt, weil vorangegangene Gesetzgebung rezipiert wurde und danach
weite Verbreitung im Abendland (Frankreich, Deutschland, Katalonien)
fand. Dabei verstehen wir unter «Harmonisierung» die in
den Texten auftauchende Rechtsbestätigung und Angleichung der
Friedensregeln (I). Als zweiter wichtiger Fragekomplex ergibt sich,
wie Pax und Treuga Dei der juristischen Praxis zwecks Konflikt- und
Streitbeilegung dienten (II).
(I) Beim Vergleich der
Kanones-Bestimmungen fallen Textwiederholung und
Institutionenrezeption sofort ins Auge. Um festzustellen, ob wirklich
eine Angleichung bzw. Bestätigung von Normen vorliegt, war zu
prüfen, ob die einschlägigen Normen wiederholt auftauchten
in einer geographisch bestimmbaren rechtlichen Einheit, wie etwa
einer Diözese oder einer Grafschaft.
Die Vorschriften der Pax und Treuga
enthalten Bestimmungen der vor- und der nachgehenden Gesetzgebung.
Die pax romana und der karolingische Frieden der Kapitularien
bezeugen die Existenz entsprechender Normen für die
Vergangenheit. Die Wiederholung der Bestimmungen in Mitteleuropa
führte zu Verbreitung und erneuten Bestätigung des Rechts,
gestützt auf Eidesleistung der Gläubigen in der Gegenwart
von kostbaren Reliquien, die die Rolle der Mittler zwischen Himmel
und Erde, zwischen Gott und Mensch, einnahmen und der Norm ihre
Wirkungskraft und Autorität verliehen. Diözesen und
Grafschaften dienten schließlich als rechtliche Einheiten und
Gerichtsbezirke, denen Bischöfe und Erzbischöfe sowie die
weltlichen Herren vorstanden.
Auch wurde die Idee der Pax Dei von
der Elite der Zeit unterstützt, so von Hinkmar von Reims, Odilon
von Cluny, Adémar von Chabannes und Yvo von Chartres. Die Pax
wurde gleichfalls in der Bildenden Kunst dargestellt (Kapitelle in
Klöstern und Kirchen und in sonstigen Illustrationen). Darüber
hinaus kam es zu einer Entwicklung vom Grundsatz der Personalität
bzw. der Vielfalt der Gesetze zu dem Prinzip der Territorialität
des Rechtes, da die Fragen des Strafrechts auf dem Spiel standen, um
– so wie es Georges Duby formulierte - im «Haus
Gottes» («Maison de Dieu»),
dieses wiederum Symbol für den Leib Christi, wieder Ordnung zu
schaffen. Da die klassische Dreiteilung der Gesellschaft und die
öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet waren, wurde
offenbar eine schrittweise Angleichung der Regeln und Bestätigung
in den Diözesen angestrebt.
In
unserer Arbeit soll gleichfalls herausgestellt werden, dass der
Friedenseid einer Katharsis bedurfte, d.h. einer Läuterung der
schwörenden Bevölkerung. Diese Katharsis bezog sich vorab
auf deren Vergangenheit und war Buße und Sündenvergebung
für bereits begangene Verletzungen der Pax Dei, wobei zu
berücksichtigen ist, dass im 11. Jh. noch nicht zwischen Sünde
(peccatum) und Verbrechen (crimen) unterschieden wurde.
Allerdings war die augustinische Idee, wonach die Sündhaftigkeit
des Menschen auf die Erbsünde zurückgeht und jede Sünde
ein Akt der Entfernung vom göttlichen Gesetz ist, zu dieser Zeit
sehr präsent. Der Sünder hatte stets die Möglichkeit,
die Sünden zu tilgen und sich wieder mit Gott zu versöhnen ;
dies war dem Bußverfahren vorbehalten.
Das Versprechen bezog sich aber nicht
nur auf die Vergangenheit, sondern ebenfalls auf die Zukunft, in der
keine Friedensverstöße mehr vorkommen sollten. Hier lag
der eigentlich juristische Ansatz, wenngleich die theologische
Bedeutung ebenfalls stark ist, weil ein Pakt mit Gott geschlossen
wird. Diejenigen, die den Eid leisteten, unterwarfen sich auch den
entsprechenden Kirchenstrafen (Exkommunikation, Anathem,
Malediktion), die die Bischöfe vorschlugen und die Versammelten
– auch stellvertretend für die Abwesenden –
beschlossen. Auf diese Weise setzte die Kirche schon sehr früh
Recht für einen bestimmten Rechtsbereich (Diözese,
Grafschaft), das als Territorium der iurisdictio (Regierungs-
und insbesondere Straf- und Disziplinargewalt) des Bischofs über
Laien und Geistliche unterfiel, der sich verpflichtete, die Pax Dei
in seinem Gebiet in Kraft zu setzen.
(II) Unser zweites Großthema,
lediglich von wenigen Historikern angedacht, ist die Rolle der Pax
und Treuga als Rechtsquelle. So kann die Wiederholung und die
Verbreitung standardisierter Regeln (wie wir es im ersten Teil
gesehen haben), bereits als Indikator der praktischen Bedeutung der
Pax und Treuga fungieren. Dennoch scheinen auch konkrete Fälle
den Geist der Gottesfrieden geatmet zu haben. Als «expliziten»
Gebrauch kennen wir die Immunität der heiligen Orte und die
Unantastbarkeit bestimmter Gebiete («ecclesia»
oder «atrium», oder oft im Midi Frankreichs
die «cellaria» und in Katalonien die
«sagraria» / «sagrera»),
die convenientiae, die Friedensstatute und der konkrete Bezug
auf einen gewissen Frieden sowie die Rezeption der
Friedensbestimmungen in territoriales Gewohnheitsrecht, wie die
Usatges de Barcelona oder den Sachsenspiegel im 13. Jahrhundert.
Fügen wir noch die Juristen aus den jungen Universitäten
des Midi hinzu, die ihr Wissen ab dem 12. Jahrhundert dergestalt
einbrachten, dass sie ihren Herren beim Abschluss einer Treuga
beratend zur Seite standen, dann wird deutlich, dass viele Techniken
aus römischem und kanonischem Recht in die späteren
Friedensbestimmungen Einzug halten konnten.
Darüber hinaus hat Elmar Wadle
zum Beweis der praktischen Bedeutung der Frieden mehrere Fälle
aus Deutschland untersucht («Landfriedensrecht in der
Praxis»). Ausgehend von seiner These haben wir die
Urkunden und Dokumente der Orte betrachtet, an denen ein oder mehrere
Konzilien für die Pax stattgefunden hatten. Die Frage erhob
sich, ob die Nachwelt sich an den Kanones orientiert hat. Da der
Frieden von Charroux von 989 das erste kirchenrechtliche Konzil
seiner Art war, haben wir die jenigen Urkunden und Dokumente
untersucht, die die Abtei und die Umgebung von Charroux betrafen.
Von Anfang an war klar, dass wir keine
«expliziten» Zitate des Friedens von Charroux
oder der umliegenden finden würden ; die Zitiertechnik Satz für
Satz und Wort für Wort ist Kennzeichen der modernen
Gesetzgebung. Andere Rechtsquellen, wie das römische Recht oder
das Gewohnheitsrecht sind ebensowenig erwähnt. Wir befinden uns
in der so genannten Phase der «Offenheit des Rechts
» (Olivier Guillot/Yves Sassier; Hermann Krause), einer Zeit
vor der so genannten Renaissance des römischen Rechts und der
Niederschrift des Gewohnheitsrecht, welches in Charroux 1177 erlassen
wurde. Die letztgenannten Quellen übernahmen wieder die
Funktion, die Pax und Treuga gewissermaßen provisorisch
ausgefüllt hatten. Oder anders gesagt: Pax und Treuga waren das
Bindeglied zwischen verschwindendem karolingischen Recht und
neueinsetzendem römischen Recht und dem Gewohnheitsrecht. Die
Regeln der Pax und Treuga waren noch in den Köpfen der Menschen
und wurden deshalb herangezogen.
Die Schwierigkeit unseres
Problemansatzes bestand in dem Nachweis der kontextuellen Bezugnahme,
wofür folgende Kriterien ausgewählt wurden: Formell waren
dies Zeit und Ort sowie die beteiligten Personen. Materiell
verglichen wir den konkreten Sachverhalt mit der abstrakten
Kanonesbestimmung, also Usurpierung von Kirchengütern und Gütern
der pauperes und den Angriff von Klerikern (objektiver
Tatbestand) sowie das Verschulden des Übeltäters
(subjektiver Tatbestand). Aus dem Kontext konnten wir schließen,
dass es für mehrere Fälle Übereinstimmungen gab, so
dass die Fälle als von der Pax und Treuga der Umgegend
beeinflusst bezeichnet werden dürfen. Die Pax diente nicht
zuletzt dazu, die «malae consuetudines»
auszuhebeln.
Wie sich aus dem Titel vorliegender
Arbeit ergibt, zentriert sich unsere Untersuchung der Anwendung der
Gottesfriedensregeln lediglich auf Charroux und die mit ihm
verbundenen Orte. Natürlich kann man nun die von uns
entwickelten Kriterien auch auf solche Texte anwenden, die in der
Nähe von Orten entstanden, an denen spätere
Gottesfriedenskonzilien stattgefunden hatten; dies sei als Desiderat
für künftige Forschungen aufgegeben.
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