Eule
S a a r b r ü c k e r   B i b l i o t h e k

(http://www.jura.uni-sb.de/projekte/Bibliothek)

Erstveröffentlichung:
Zeitschrift für die
Geschichte der Saargegend (ZGS)
52 (2004), S. 61-66.


Thomas Gergen*

Stimmen zur
Rezeption des französischen Rechts
an Mosel und Saar

Ein Erinnerungsbeitrag zum
Bicentenaire des Code civil (1804-2004)






I n h a l t s ü b e r s i c h t
I. Einführung: Überwiegende Begeisterung für den Code civil in Europa
II. Der Code civil im Ausland
III. Frühe Einführung des französischen Rechts links des Rheins
IV. Stellungnahmen von Rudler und Boucqueau
1.     Franz Josef Rudler
2.     Philipp Joseph Boucqueau


I. Einführung:
   Überwiegende Begeisterung für den Code civil in Europa

Der Code civil bzw. Code Napoléon, der am 21. März 1804 (30 ventôse des Jahres XII) in Kraft trat, wurde für Frankreich genauso ein "Exportschlager" auf juristischem Gebiet wie die Erklärung über die Menschenrechte von 1789. Napoléon Bonaparte war darauf selbst sehr stolz und setzte auch alles daran, sich die Urheberschaft an diesem Gesetzeswerk zu sichern, obwohl er vieles den Versammlungen der Revolution und den Redaktoren verdankte. Seit 1792 hatte sich bereits eine Kommission gebildet, die zum Ziel hatte, eine Kodifikation auf dem Gebiet des Zivilrechts zu schaffen und in der Cambacérès und Merlin (de Douai) dominierten. Als Napoléon am 22. Dezember 1799 die neu ausgearbeitete Verfassung verkündete, bestellte er sich zum Ersten und (neben Lebrun) den bisherigen Justizminister Cambacérès zum zweiten Konsul(1). Cambacérès und Merlin folgten beide der Einteilung der institutiones Justinians und wollten ein einfaches und klares Gesetzeswerk schaffen. So wie die Republik, so sollte auch das Zivilgesetzbuch einheitlich und unteilbar für alle Franzosen geschrieben sein. Als nach mehreren Versuchen noch keine Einigung in der Gesetzgebungskommission herrschte, nahm Napoléon das Heft selbst in die Hand mit der Folge, dass der Code innerhalb von vier Monaten fertig verfasst und sogar gedruckt war. Andere Kodifikationen folgten, und der Code wurde in vielen Ländern außerhalb Frankreichs rezipiert(2).
Dass der Code civil vielfach mit großer Begeisterung aufgenommen wurde, hat die Forschung bereits herausgearbeitet. Außerhalb Frankreichs haben etliche nationalbewusste Historiographen versucht, das Eindringen des fremden Zivilrechts und den Einfluss der französischen Herrschaft abzuwerten, als unbedeutend abzutun oder bestenfalls für das Erwachen des modernen Nationalismus verantwortlich zu machen(3). Die französischen Historiker, die sich mit der napoleonischen Zeit befassten, ignorierten dagegen durchgängig die innere Geschichte anderer europäischer Nachbarländer und benutzten deren Geschichte bestenfalls als Szenario für die Demonstration der eigenen "gloire"(4).
Von rechtshistorischem Interesse sind sowohl allgemeine Stimmen zur Rezeption des Code civil außerhalb Frankreichs und insbesondere in deutschen Landen (II). Zudem lohnt die regionalhistorische Betrachtung der Einführung des französischen Rechts in Trier (III) und der dort abgegebenen Stellungnahmen zweier verantwortlicher Juristen, die links des Rheins bedeutenden Einfluss gewonnen hatten, nämlich Franz Josef Rudler und Philipp Joseph Boucqueau (IV).

II. Der Code civil im Ausland

In der einschlägigen Literatur schimmert sehr deutlich das Sendungsbewusstsein Frankreichs durch, nicht nur ein Zivilgesetzbuch für Frankreich zu schaffen, sondern auch für große Teile Europas, ja sogar der Welt. Die philosophische Strömung der Aufklärung war dabei dergestalt gediehen, dass man im Code civil das Resultat und die gesunde Mischung aus Vernunft und Gerechtigkeit sah; dies unterstrich der Generalsekretär des Conseil d'État Locré deutlich: "Le Code de nos lois civiles n'est plus pour nous seuls; il est devenu le code d'une grande partie de l'Europe. Un jour il régira tous les peuples civilisés"(5). Bei Locré findet sich die Ansicht, dass das allgemeingültige Gesetz nicht mehr nur allein durch ein besonderes Volk dargestellt werden soll, sondern vom Code Napoléon(6):
"Ces brillantes conquêtes prouvent, sans doute, qu'il [le Code] est tellement le résultat de la raison et de la justice, qu'il convient à toutes les formes de gouvernement, se concilie avec tous les cultes, se plie aux moeurs de tous les pays, mais il en résulte aussi que la loi de l'univers ne pouvoit plus porter le nom d'un peuple particulier. Et alors, quel nom plus universel lui donner, que celui dont l'éclat ne pâlira jamais, et s'étendra dans la suite de tous les temps; que celui du Prince qui, par ses sages lois, régnera sur des nations et sur des siècles auxquels n'étoit pas réservées l'heureuse destinée de vivre ou de s'écouler sous son empire; que celui de son fondateur? Je m'applaudis d'avoir prévu cet événement et d'avoir devancé le voeu de la loi, en donnant, dès le principe, à notre Code, le titre glorieux de Code Napoléon."
Die Legende des Code civil war also im französischen Conseil d'État geboren. Louvet(7) nannte ihn den "unsterblichen Code" ("Code immortel"), Bigot-Préameneu(8) verglich ihn mit einer "heiligen Arche", die "eines Respekts wie eine Religion" würdig sei ("arche sainte digne d'un respect religieux") und aus Greniers(9) Worten von der "universellen Moral" resultieren die Eigenschaften der Vollständigkeit und der umfassenden Geltung. Der Code sollte den gleichen Weg wie die Waffen marschieren und hinter diesen siegreich sein, denn Napoléon hatte ihn den Verbündeten und Untertanen als Gesetzgeber Italiens, Hollands, der hanseatischen Departements, des Großherzogtums Berg, Badens, Nassaus und Warschaus, der freien Städte von Danzig und Frankfurt, der Königreiche Illyrien und Westfalen und einigen Schweizer Kantonen gegeben. Links des Rheins, also auch und gerade in unserer Region an Saar und Mosel war französisches Recht sehr früh eingeführt worden.
Sehr stolz hatte Napoléon auf Sankt Helena selbst verkündet, dass Waterloo zwar die Erinnerung an seine vierzig gewonnenen Schlachten auslösche, doch was ewig leben werde sei sein Code Civil(10). Dies bewog Thiers dazu, den Code in seiner Histoire du Consulat et de l'Empire als den Code der zivilisierten und modernen Welt zu charakterisieren ("le Code du monde civilisé moderne"). Frankreich habe das Verdienst, durch diesen Code die beste Form des fürsorglichen Staates zu gewähren ("de donner par le Code civil la meilleure forme de l'état social"). Und Thiers setzte noch eins drauf, indem er etwas erklärte, was den heutigen Leser noch mehr als die für seine Zeit ohnehin typische Panegyrik des Patriotismus ins Staunen versetzen dürfte: Frankreich entschädige mit seinem Code civil die Menschheit für das Blut, das während des Krieges vergossen worden sei und gleiche ein wenig das den Zeitgenossen zugefügte Böse durch ein unermessliches Gut aus, das den zukünftigen Generationen zugesichert werde(11): "C'est ainsi que la France dédommageait l'humanité du sang versé pendant la guerre, et compensait un peu le mal fait à la génération présente par un bien immense assuré aux générations futures."

III.   Frühe Einführung des französischen Rechts links des Rheins

Schon in den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts hatte die französische Besatzungsmacht nach dem Vordringen der Revolutionsarmeen bis zum Rhein fortschreitend ihr revolutionäres Recht eingeführt. Mit dem Gesetz vom 9. März 1801 war französisches Recht in den linksrheinischen Gebieten in der Folge als das Recht eines Teiles Frankreichs anwendbar(12). Das linke Rheinufer wurde am 23. Januar 1798 (4 Pluviôse VI) in vier Departements eingeteilt, nämlich das Rurdepartement (Hauptstadt Aachen), das Rhein- und Moseldepartement (Hauptstadt Koblenz), das Donnersbergdepartement (Département du Mont Tonnerre) mit seiner Hauptstadt Mainz und das Saardepartement mit seiner Hauptstadt Trier. An das Saardepartement schloss sich nach Westen das schon bestehende Département de forêts (Wälderdepartement) an, welches Luxemburg und die Ardennen umfasste. Damit war das Land "zwischen Maas und Rhein und Rhein und Mosel" neu organisiert.

IV. Stellungnahmen von Rudler und Boucqueau

1. Franz Josef Rudler

Franz Josef Rudler, vormals Richter am Kassationshof in Paris wurde durch Verordnung vom 4. November 1797 (14 Brumaire VI) zum Regierungskommissar dieses neu geschaffenen Gebietes ernannt. Rudler war für dieses Amt, das Kultur- wie Rechtskenntnisse Deutschlands und Frankreichs verlangte, geradezu prädestiniert: Der am 9. September 1757 geborene Jurist war nämlich Elsässer!
Seine Anordnungen sollten unter der Bezeichnung "règlements" Gesetzeskraft haben (Art. 11 der Verordnung vom 4. November 1797). Von Bonn aus, dem Sitz der Mittelkommission zur Verwaltung der eroberten Gebiete, richtete Rudler am 11. Dezember 1797 (21 Frimaire VI) folgenden Aufruf an die Bevölkerung, in dem der Fortschritt des französischen Rechtswesens deutlich wird. Rudler pries darin den französischen Friedensrichter, den "juge de paix" als wohltätige Errungenschaft des französischen Rechts, der Rechtsstreitigkeiten auf schnelle Art und Weise gütlich beizulegen helfen sollte(13): "Eine väterliche Verwaltung ganz abgesondert von jener der Gerichtspflege, wird Euch den wohltätigsten Einfluss spüren lassen. Friedensrichter werden Euch alle Mittel zum Versuch der Güte darbieten...".
Gewissermaßen als "Weihnachtsgeschenk" wurde dieser Aufruf am 24. Dezember 1797 auf dem Trierer Kornmarkt und allen großen Plätzen in Anwesenheit zweier Kompanien Soldaten öffentlich in deutscher Sprache verlesen.

2. Philipp Joseph Boucqueau

Auch der von Rudler durch Verfügung vom 29. Januar 1798 (10 Pluviôse VI) ernannte Philipp Joseph Boucqueau gebrauchte ähnliche Worte, um die Vorzüge des französischen Zivil- und Strafrechts zu unterstreichen. Boucqueau, der in Leuven und Leiden Jura studiert hatte und zuletzt Sekretär bei der Verwaltung des Departement Ourthe war, wurde zunächst zum Kommissar des Direktoriums bei der Zentralverwaltung des Saardepartements ("Commissaire du Directoire exécutif près l'Administration centrale du Département de la Sarre") und durch Verfügung vom 10. Februar 1798 (22 Pluviôse VI) zum Sonderkommissar bestimmt. Er hatte die Aufgabe, die Zentralverwaltung und entsprechende Gerichte des Saardepartements einzurichten (so wie die Verfassung des Jahres III in Frankreich entsprechende Departement-Gerichte geschaffen hatte). Zu diesem Zweck berief Boucqueau am 19. Februar 1798 die zu Mitgliedern der Zentralverwaltung ernannten Bürger anlässlich ihrer Amtseinführung und Vereidigung ein. Das die Einführung der Gerichtsbehörden betreffende Protokoll lautete in Übersetzung wie folgt(14):
"Protokoll über die Einführung des Zivil- und des Strafgerichts für das Saardepartement.
Im Jahr VI der einen und unteilbaren französischen Republik, am 1. Ventôse um 11.00 Uhr morgens, habe ich, Philipp Joseph Boucqueau, Kommissar des Vollzugsdirektoriums bei der Zentralverwaltung des Saardepartements, durch Verfügung des Bürgers Rudler, Regierungskommissars für die eroberten Gebiete zwischen Maas und Rhein und Rhein und Mosel, zum Sonderkommissar zu dem Zweck ernannt, die Einführung des Zivil- und des Strafgerichts für das Saardepartement vorzunehmen, mich, nachdem ich zuvor die Bürger geladen hatte, die zu Mitgliedern der genannten Zivil- und Strafgerichte ernannt waren, zu dem Hause begeben, das dazu bestimmt ist, als Ort ihrer Sitzungen zu dienen, das bisher sogenannte Seminar der Piaristen und in der Straße Dietrichsgasse gelegen, wo ich, da die Versammlung zusammengetreten war, ihr von meinen Vollmachten Kenntnis gab und mir durch jedes der Mitglieder der neuen Gerichte die Verfügung vorzeigen ließ, die es in seine gerichtlichen Aufgaben einweist; ...
Ich habe alsdann eine Ansprache gehalten, in der ich die kostbaren Vorteile aufzeigte, die gegenüber der bisherigen gerichtlichen Ordnung die durch die französische Verfassung geheiligte Zivil- und Strafrechtswissenschaft hat. Ich habe sie beendet mit der Aufforderung an die soeben eingeführten Gerichtsmitglieder, nach der für die Beamten dieser Departements vorgeschriebenen Formel den Eid zu leisten, der französischen Republik anhänglich und treu zu sein und mit Eifer die Aufgaben des Postens zu erfüllen, der ihnen anvertraut ist, was alle einzeln taten unter dem Beifall zahlreicher Zuschauer und den wiederholten Rufen' es lebe die Republik, es lebe die französische Regierung'."
Weiterhin wurden Protokolle über die Festlichkeiten zur Einführung der Zentralverwaltung und der Zivil- und Strafgerichte des Saardepartements angefertigt und zur Verteilung in den ländlichen Bezirken gedruckt und verteilt(15). Diese Maßnahmen sollten nicht nur die Vorzüge der Annahme des besseren und überlegeneren französischen Rechts ankündigen, sondern gleichermaßen die neue Rechtsordnung von der Bevölkerung "rezipieren" lassen.


  F u ß n o t e n

*Meinem Patenkind Maximilian Dreßler (Madrid) gewidmet.
(1)A. Bürge, Das französische Privatrecht im 19. Jahrhundert. Zwischen Tradition und Pandektenwissenschaft, Liberalismus und Etatismus, 1991 (ius commune-Veröffentlichungen des Max-Planck-Institutes für Europäische Rechtsgeschichte; Sonderhefte, Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte 52), 580.
(2) A. Jourdan, L'Empire de Napoléon, 2000, 233-236.
(3) S. Woolf, Eliten und Administration in der napoleonischen Zeit in Italien, in: C. Dipper/W. Schieder/R. Schulze (Hrsg), Napoleonische Herrschaft in Deutschland und Italien - Verwaltung und Justiz (Schriftenreihe zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 16), 1995, 29-43, hier insb. 30-31.
(4) Dies gilt für die Historiker Louis Madelin, Jacques Rambaud, Albert Pingaud und Charles Schmidt sowie Marcel Dunan, siehe Woolf, wie Fn 3, 30.
(5) J. G. Locré, Esprit du Code Napoléon, tiré de la discussion, ou conférence historique, analytique et raisonnée du Projet de Code civil, des Observations des Tribunaux, des Procès-verbaux du Conseil d'État, des Observations du Tribunat, des Exposés de motifs, des Rapports et Discours, 1808, 542; J. Minier, Précis historique Droit Français. Introduction à l'Étude du Droit, 1854, 773.
(6) Locré, Esprit, wie Fn 5, 542-543.
(7) J. G. Locré, La législation civile, commerciale et criminelle de la France, ou Commentaire et complément des Codes français, 1832, Bd XXI, 169.
(8) Locré, Législation, wie Fn 7, Bd I, 112.
(9) Locré, Législation, wie Fn 7, Bd I, 589.
(10) "Ma gloire n'est pas d'avoir gagné quarante batailles [...] Waterloo effacera le souvenir de tant de victoires [...] mais ce que rien n'effacera, ce qui vivra éternellement, c'est mon Code civil." Zitat bei De Montholon, Récit de la captivité de l'empereur Napoléon à Sainte-Hélène, 1847, Bd I, 401.
(11) Alle Zitate bei Locré, Législation, wie Fn 7, Bd XX, 726 und Bd VII, 146; Hervorhebung vom Verfasser dieses Beitrags.
(12) R. Schulze, Rheinisches Recht im Wandel der Forschungsperspektiven, in: ZNR 2002, 65-90, hier insb. 67; zur Landesgeschichte vgl. J. Dressler, Geschichte der Trierer Gerichte von 1794-1813, 1957 (Schriftenreihe zur Trierer Landesgeschichte und Volkskunde 1), 3.
(13) J. Hansen, Quellen zur Geschichte des Rheinlandes im Zeitalter der Französischen Revolution 1780-1801, 1938, Bd 4, 417, 425.
(14) Dressler, wie Fn 12, 10-11; vgl. Stadtarchiv Koblenz, Abt. 241, Nr. 565, Bl 4, 5, 29; Hervorhebung vom Verfasser dieses Beitrags.
(15) Hansen, wie Fn 13, 999.

 


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